Mal wieder in der Hauptstadt unterwegs? Und ein bisschen Zeit für Kunst, Kultur und Mode? Wie wäre es mit einem Besuch im Museum? Ich hätte da einen heißen Tipp: Die Berlinische Galerie zeigt noch bis zum 30. Mai 2022 eine großartige Ausstellung mit dem Titel „Modebilder – Kunstkleider“. Nicht nur Fashion Fans werden begeistert sein: die Sammlung ist ebenso überraschend wie vielseitig. Neben zahlreichen Modefotografien quer durch das 20. Jahrhundert zeugen zahlreiche Gemälde und Zeichnungen von der Rolle der Mode als Ausdrucks- und Repräsentationsmittel – heute und in längst vergangenen Zeiten. Das Spektrum reicht vom Reformkleid um 1900 über die Dada-Dandies der 1920er Jahre bis hin zu avantgardistischen Kleidungsentwürfen in der zeitgenössischen Kunst.
Auf dieser breiten Basis, ergänzt um Leihgaben ausgewählter Kleidungsstücke, beleuchten rund 270 Exponate das Verhältnis von Kunst und Mode. Die Ausstellung gibt Antworten auf die Frage, welche Rolle die Mode in Malerei, Zeichnung und Fotografie der letzten 100 Jahre spielt. Aber auch, nach welchen Regeln Kleidung und Kostüme in der Bildenden Kunst eingesetzt werden. Nicht zuletzt zeigt die Sammlung, wie Mode als Medium in der zeitgenössischen Kunst genutzt wird.
Es steht außer Frage, dass sich Mode, Kunst und Musik stark beeinflussen. Wer könnte das besser beurteilen als die Berliner Künstlerin Käthe Kruse. Anlässlich der Ausstellung, in der auch ihre Installation „Naturkatastrophenballett im neuen Kostüm“ zu sehen ist, hatte ich die einzigartige Gelegenheit ein Interview mit der Ikone der deutschen Punkszene und Mitglied der Band „Die Tödliche Doris“ zu führen.
Fangen wir mal mit deinem Namen an: Käthe Kruse! Das führt zunächst in die Irre. Man denkt automatisch an die nostalgischen Porzellanpuppen. Mal ehrlich, heißt du wirklich so?
Käthe Kruse: Mein eigentlicher Vorname ist Elke, aber ich wurde meiner Mutter quasi schon als „Käthe Kruse Püppchen“ in die Arme gelegt. Elke hat mich schon bald niemand mehr genannt. Bereits in der Schule hat mich jeder mit Käthe angesprochen, sicher auch, weil es schon so viele Mädchen namens Elke gab. Ich finde, Käthe ist ein toller Name. Auf Elke reagiere ich gar nicht. So gesehen ist Käthe Kruse alles andere als ein Künstlername.
Mode, Musik, Kunst. Diesen Dreiklang beherrschst du perfekt. Kannst du beschreiben, wie du zur Kunst gekommen bist?
Käthe Kruse: Ich bin tatsächlich über die Musik zur Kunst gekommen. Ich war immer schon sehr musikaffin, habe Schlagzeug gespielt und war in den 70er- und 80er-Jahren der Punk- und Reggae-Szene sehr verbunden. In dem Kultladen „SO 36“ (Berlin-Kreuzberg) gab es das legendäre Event „Weihnachten mit Heino“. An Heiligabend 1981 bin ich dort als schwarzer Engel mit schwarz-goldenen Flügeln auf die Bühne gegangen und habe Feuer gespuckt. Das brachte eine ganz besondere Stimmung und Wolfgang Müller und Nikolaus Utermöhlen von Die Tödliche Doris“ haben mich dort gesehen und vom Fleck weg engagiert. Mit der Folge, dass ich sechs Jahre Schlagzeugerin war. Wir drei bildeten fortan die Kernbesetzung der Künstlergruppe, die zu einem Akteur innerhalb der „Genialen Dilletanten“ wurde, der Austrieb schlechthin in der experimentellen Berliner Musik-Szene der 80er Jahre.
Schon beim ersten Termin haben wird das „Naturkatastrophenballett“ entwickelt, das ja auch hier in der Berlinischen Galerie als neues Kostüm und als Video zu sehen ist. Wir waren darüber hinaus auch graphisch und visuell unterwegs, haben Plakate gestaltet oder Super 8-Filme gedreht, zum Beispiel als Bühnenkulisse. Wir begannen schon damals, uns intensiv der Bildenden Kunst zu widmen. Die 44 Bilder-Serie „Die Gesamtheit allen Lebens und alles Darüberhinausgehende“ ist eine kaleidoskopische Bewegung und war 1985 in Stuttgart zu sehen. Jedes Bild ist 1 x 1,60 Meter groß, gemalt mit Autolack. Wenn man mit den Augen zwinkerte und sich im Kreis drehte, konnte man die echte Kaleidoskopische Bewegung sehen. Später machte Die Tödliche Doris aus Bühnenkostümen Lampen, zum Beispiel Lampe Slip oder Lampe Oberteil oder kreierte Sessel aus Kleidern. Die Band „Die Tödliche Doris“ hat sich 1987 schließlich aufgelöst. Nach zehn weiteren Jahren mit Wolfgang Müller und sehr vielen Performances war ich ausschließlich in der Bildenden Kunst* aktiv. Doch ich bin auch eine Rampensau. Die Performances fehlten mir. Ich habe dann mit meinen Töchtern gearbeitet. Wir sind mit Schlagzeug und Bass aufgetreten. Noch heute spielen wir zusammen, unter anderem auch am 21. April in der Berlinischen Galerie.
(*Verzeichnis ihrer Werke: https://www.kaethekrusekunst.de/werke.htm)
Kommen wir zu Kunst und Mode. Was möchtest du mit deinem Kunstwerk hier in der Berlinischen Galerie ausdrücken?
Käthe Kruse: Es handelt sich um eine Installation, um ein Klang-Kostüm. Man sieht Gummistiefel, Tassen, Gummiband für Schlüpfer, Glöckchen und ein Blech, genauer gesagt eine Druckerplatte. Die Glöckchen stehen für Wirbelsturm, die Tassen für Lawinengefahr, die Platte für Erdbeben, die Gummistiefel für Hochwasser. Es sind die „Naturkatastrophen in neuem Kostüm“, 2013 von mir entworfen.
Wie interpretierst du das Verhältnis von Kunst und Musik?
Käthe Kruse: Kunst und Musik beeinflussen sich immer wieder. Klang als Transformation! Ich habe zum Beispiel mein Schlagzeug komplett in Leder eingefasst. Das veränderte nicht nur den Klang, sondern das ganze Schlagzeug wurde zum Kunstwerk. Es wird auch heute bei Performances eingesetzt, dann ist es wieder ein Instrument, nun aber mit einem ganz neuen Klang. Ich hatte eine ganze Kuhlederhaut und habe daraus ein begehbares Kostüm gestaltet. Später habe ich dann auch ein Xylophon und eine Gitarre und andere Instrumente in Leder gehüllt.
Spannend ist auch das Projekt „366 Tage“. Für diesen Zyklus habe ich über einen Zeitraum von vier Jahren 25 Überschriften pro Tag aus jeweils einer deutschsprachigen Tageszeitung gesammelt und daraus die Substantive extrahiert. Entstanden ist ein subjektives Archiv zur jüngsten Zeitgeschichte in knappster Form –, das keiner festen inhaltlichen Systematik zu folgen scheint, aber in der stringenten chronologischen Aneinanderreihung und künstlerischen Transformation ein absurdes und auch beunruhigendes gesellschaftliches Bild entwirft. Diese 3927 extrahierten Wörter gibt es als Doppel LP sowie als großformatiges Tuch in der Edition „Ich sehe“, Distanz Verlag, Berlin.
Zurück zur Mode. Was bedeutet Mode für dich persönlich?
Käthe Kruse: Ich glaube, ich bin ein Fashion Victim. Schon von Hause aus. Meine Eltern waren beide Schneider. Das heißt, ich bin mit Maßgeschneidertem groß geworden. Ich spüre manches Mal heute noch, wie sich die Stoffe meiner Kindergarten-Kleider auf meiner Haut angefühlt haben. Als Kontrast dazu kam meine Trash-Klamotten-Zeit in den 70er/80er-Jahren. Heute interessiere ich mich wieder sehr für Mode. Yamamoto und Vivien Westwood gehören zu meinen Lieblings-Designern. Bei Schuhen bevorzuge ich Trippen, Marni und Margiela. Ich besitze mindestens 60 Paar Schuhe. Ich liebe Leder! Leder ist lebendig, fühlt sich gut an und duftet angenehm. Leder verändert die Farbe. Da wären wir wieder beim Thema Transformation. Leder ist wie eine zweite Haut.*
(*In Leder, Galerie Auslage. https://galerie-auslage.de/burdensomerichness/kaethekruse)
Eine letzte Frage. Bitte vervollständige den Satz: Berlin ist für mich…
Käthe Kruse: … toll! Berlin ist immer wieder anders. Ich lebe seit 41 Jahren in der Stadt. Berlin wandelt sich ständig, das ist faszinierend. Es entsteht immer wieder Neues. Es ist nie langweilig. Man denke nur an die Vielfalt an Kunst, Musik und Museen. Berlin ist einzigartig und das Beste: man kann sich Berlin leisten. Im Gegensatz zu vielen anderen Metropolen wie London, Tokyo oder Zürich.
Käthe Kruse / Biographie
Käthe Kruse wurde 1958 in Bünde/Westfalen geboren, lebt seit 1981 in Berlin, war von 1982 bis 1987 Mitglied der Gruppe Die Tödliche Doris, mit Auftritten unter anderem im Museum of Modern Art, New York, im Musée d’Art Moderne, Paris, Club Quattro, Tokio und auf der documenta 8, Kassel.
Von 1990 bis 1997 studierte Kruse Visuelle Kommunikation an der Hochschule der Künste Berlin und war Meisterschülerin bei Heinz Emigholz.
1991 wurde sie durch Heirat Schweizerin, hat zwei Töchter, arbeitet als Bildende Künstlerin, Performancekünstlerin und Autorin.
Seit 1987 hatte sie Einzelausstellungen unter anderem bei Kagan/Martos, New York, in der Kunsthalle Bremerhaven, in der Galerie der Stadt Schwaz, Tirol, Österreich und in der Galerie Nord/Kunstverein Tiergarten, Berlin.
Performances hatte sie unter anderem im Walcheturm, Zürich, im Gracia, Barcelona, in der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof und im Neuen Berliner Kunstverein.
Mit ihren Töchtern Edda und Klara Kruse Rosset arbeitet sie seit 2011 für ihre Performances zusammen, sie hatten Auftritte unter anderem in Kunstwerke e. V., Institute for Contemporary Art, Berlin, in der Galerie Vincenz Sala, Paris, auf dem Klangspuren Festival für Neue Musik in Schwaz/Tirol und auf dem Performancefestival in Tiflis, Georgien, sowie im MATERIAL, Zürich und mit Edda Kruse Rosset und Myriam El Haik in der Volksbühne Berlin und auf dem LUFF-Festival für Film und Musik, Lausanne.
2020 fand die Doppelausstellung Ich sehe in der Galerie Nord/Kunstverein Tiergarten und 366 Tage in der Zwinger Galerie in Berlin statt. Zu diesen Ausstellungen ist der Katalog Ich sehe mit einer Doppel-LP im Distanz Verlag, Berlin erschienen. Ihre Einzelausstellung Danke! Die Tödliche Doris zeigte sie im Circuit, Centre l’Art Contemporain, Lausanne.
2021 erhielt sie den eigens für sie eingerichteten PeterJacobiWerkPreis der Peter Jacobi Stiftung für Kunst und Design, Pforzheim
2022 zeigt sie Arbeiten in der Ausstellung „Modebilder – Kunstkleider“ in der Berlinischen Galerie und in der Ausstellung „Skulpturale Poesie“ in der Weserburg, Museum für moderne Kunst in Bremen.