Man spürt es in jedem Winkel. Hier in der Ulmer Platzgasse Nummer 4 werden Schuhe geliebt und gelebt. Man könnte auch sagen: Es rattert im Karton. Und das seit 150 Jahren. 2023 feiert das seit vier Generationen inhabergeführte Schuhhaus Ratter seinen 150. Geburtstag. Ein Jubiläum, auf das man wahrlich stolz sein darf und das auch in unserer traditionsreichen Branche seinesgleichen sucht. Umso schöner, dass Inhaber Michael Ratter und seine Familie ihr Jubiläum gleich mit mehreren Events feiern und sich auf ihre ganz persönliche Weise bei Kunden, Freunden und Geschäftspartnern bedanken. Den Anfang machte am 4. Mai ein Festabend in den Geschäftsräumen mit geladenen Gästen aus Wirtschaft, Politik, Kunst und Branche. Auch ich hatte die Ehre, an diesem besonderen Fest teilnehmen zu dürfen. Es war ein toller, informativer und sehr unterhaltsamer Abend mit netten Gästen, kulinarischen Köstlichkeiten und dem Höhepunkt, der Enthüllung von SAPRI – einem lebensgroßen Kunstwerk in „Ratter-Rot“, das eigens für das Jubiläum von dem kürzlich verstorbenen Ulmer Künstler Alfred Bradler erschaffen wurde.
Tradition und Zeitgeist
Manchmal lohnt sich auch der weiteste Weg. Meine Reise nach Ulm hat sich auf jeden Fall gelohnt. Ich bin ganz begeistert von dieser Stadt und dem imposanten Ulmer Münster. In den gemütlichen Gassen der Altstadt scheint die Welt noch in Ordnung. Viele kleine Geschäfte, nette Cafés und gemütliche Restaurants laden zum Verweilen ein. Mittendrin das Schuhhaus Ratter mit einem erlesenen Angebot an hochwertigen Schuhen und Taschen, das seit geraumer Zeit durch modische Bekleidung und Accessoires ergänzt wurde. Eine gute Entscheidung – wer einen coolen, stylishen Look sucht, wird bei Ratter von Kopf bis Fuß fündig.
Angefangen hatte die Geschichte der Ratters mit einer kleinen Schuhmacherei im Mai 1873. Damals eröffnete Michael Ratters Urgroßvater Michael nach seiner Lehre zum Schuhmachermeister in einem kleinen „Häusle“ in der Ulmer Schwilmengasse eine Schuhmacherei. Seine Frau Katharina erkannte schon früh, dass man von der Schuhmacherei allein nicht leben konnte. Sie nahm damals noch spärlich vorhandene Handelsware ins Angebot der Schuhmacherei auf. Ihr Sohn Hermann zog vom alten Standort in die damalige Glöcklerstraße. Ende 1944 fand mit dem Bombenangriff der Amerikaner und der fast flächendeckenden Zerstörung der Ulmer Innenstadt auch der Schuhhausbetrieb ein jähes Ende. Das Firmengebäude wurde schwer beschädigt. Die Großeltern überlebten die Bombardierung im Keller und konnten mit ihren eigenen Händen verhindern, dass das Haus komplett abbrannte. Hermann und seine Frau Wally Ratter brachten nach dem Krieg gemeinsam mit viel Einsatz das Geschäft wieder in Gang. Nach dem Tod von Hermann Ratter 1960 übernahm Sohn Reinhold, der Vater von Michael Ratter. Er durfte – damals ungewöhnlich – von Seiten der Eltern nicht nur studieren, sondern auch promovieren. Mit ihm nahm die Firma in den Wirtschaftswunderjahren ihren großen Aufschwung: mit einem Neubau neben dem Stammhaus Neue Straße 28 und einem Zukauf des Nachbarhauses verdreifachte Reinhold Ratter die Geschäftsfläche. Dabei half ihm auch die Liebe, die bei ihm strategisch richtig gefallen war: er heiratete die damalige Konkurrenz, Doris Siegle von Schuhhaus Siegle in Ulm-Söflingen und hatte damit eine fachkundige und fleißige Frau an seiner Seite – über 65 Ehejahre lang. Ende der 80er Jahre kam dann mit dem heutigen Inhaber Michael Ratter die nunmehr vierte Generation an den Start.
Resilient, persönlich und innovativ
Das Unternehmen Ratter ist ein gutes Beispiel dafür, wie Resilienz im Handel aussehen kann. Es bedeutet, nicht nur umsatz- und gewinnorientiert zu denken, sondern schnell auf geänderte Kundenbedürfnisse zu reagieren, aktiv den Zeitenwandel umzusetzen und dabei verantwortungsvoll mit den Ressourcen der Vorgenerationen umzugehen. Michael Ratter, der auch heute noch (wie sein Vater) handschriftlich ein Kassenbuch führt, hat sich immer dagegen entschieden, zu filialisieren und weitere Geschäfte aufzumachen. „Mein Credo war und ist: our business is local. Heute bin ich sehr dankbar für diese Strategie“, sagt Michael Ratter. Nicht zuletzt kommt es dabei auf den richtigen Standort an. Das Quartier rund um die Platzgasse bietet die vielleicht beste Aufenthaltsqualität der Ulmer City „Ich sage immer: wenn stationärer Handel und ein gepflegtes Fachgeschäft überhaupt noch Erfolgsaussichten haben, dann direkt vor unserer Ladentüre. Es war meine unternehmerische Lebensentscheidung, nach 80 Jahren am Standort Neue Straße das Geschäft hierher in die Platzgasse verlegt zu haben. Gott sei Dank war dies vor 13 Jahren die richtige Entscheidung“, so Michael Ratter rückblickend.
2018 wurde die langjährige Filiale, das Schuhgeschäft Siegle in Ulm-Söflingen schweren Herzens geschlossen. Dafür wurde der Online-Auftritt ständig weiterentwickelt. „Auch wenn man als kleiner Anbieter mit dem Onlineverkauf in unserer Branche aufgrund der hohen Provisionen der Portale und der enormen Retourenquoten kein Geld verdienen kann, so ist der Shop für uns doch ein wichtiger Marketingfaktor, ein digitales Schaufenster um unser Angebot online sichtbar zu machen“, erläutert Michael Ratter. Was heute mehr denn je zähle, sei rasche Anpassungsfähigkeit. Dies müsse beim Chef anfangen, und von jedem Mitarbeiter im Team gelebt werden. Der wichtigste Erfolgsfaktor ist für Schuhhaus Ratter: in der Kundenbeziehung persönlich sein! Dies kann der Onlinehandel nicht leisten. „Ich freue mich, dass ich auf Mitarbeiterinnen zählen kann, die genau diese persönliche Kundenbeziehung jeden Tag hervorragend leben“, bedankte sich Michael Ratter bei seinem Team.
Frauen Power
Was zog sich über alle vier Generationen wie ein roter Faden durch die Firmengeschichte? Die starken Frauen an der Seite ihrer Männer, die maßgeblich zum Erfolg des Geschäfts beitrugen“, so Michael Ratter über die „Power Frauen“ des Unternehmens. Gestern wie heute. „Die wohl wichtigste Frau an meiner Seite, privat wie geschäftlich, ist Beate Diem, ohne die das Geschäft – wie auch ich – nicht so dastehen würde wie heute.“ Natürlich gehört zu den wichtigen Frauen auch Tochter Charlotte mit ihrem ausgeprägten modischen Gespür. Die beiden Söhne Tim und Philipp haben sich schon seit längerem dafür entschieden, einen anderen Werdegang einzuschlagen, aber wer weiß? Vielleicht macht es doch Sinn, dass sie vielleicht noch die fünfte Generation im Hause Ratter wird.
Kunst & Kreativität
Wie sieht die Zukunft aus? „Aus Kundensicht reicht das Einkaufen allein als Grund oft nicht mehr aus, in die Innenstadt zu kommen“, weiß Michael Ratter. Die Weiterentwicklung des Geschäfts von einem Verkaufsort hin zu einem Ort, der Erlebnis, Unterhaltung, Überraschung, Community und Mehrwert bietet, wird immer mehr zur Voraussetzung für den Fortbestand. Dazu trägt die Familie mit ihrem Engagement in der Kunst und ausgewählten Charity Aktionen bei. Im Jubiläumsjahr sollte sich eine kreative Idee wie der berühmte rote Faden durch das Jahr ziehen. Mit dem Ulmer Künstler Alfred Bradler wurde die Idee geboren, einen Schuh-SAPRI zu entwerfen, der Ratter als visueller Aufhänger durch das 150-jährige Jubiläum begleitet. Mit dieser Idee wurde gleichzeitig an einem Wettbewerb des Landes Baden-Württemberg zum Thema „Einkaufserlebnisse im stationären Handel“ teilgenommen. Mit Erfolg: Ratters gehören zu den glücklichen Wettbewerbsgewinnern mit einer finanziellen Förderung der Konzeptumsetzung in einem 5-stelligen Bereich.
Am 4. Mai wurde der lebensgroße, knallrote Ratter-Schuh-Sapri feierlich enthüllt. Gleichzeitig wurde ein Losverkauf zugunsten der Aktion 100.000 der Südwest-Presse initiiert. Die Aktion 100.000 ist die größte und aktivste Spendeninitiative der Region und unterstützt eine Vielzahl von sozialen Projekten – alle mit lokalem Bezug. Der 1. Preis: ein Original Ratter-Sapri, 30 cm hoch, streng limitiert auf 15 Exemplare – und handsigniert von der Ehefrau des verstorbenen Künstlers, Eka Bradler. Das ganze Jahr über werden weitere Jubiläumsaktionen im Kontext des Schuh-Sapri stehen. Schuh- und Mode-Fans dürfen sich zudem auf einen großen Jubiläumsverkauf freuen.